Nachdem ich mein Video mit Sarah noch einmal angeschaut habe und über eine Stelle gestolpert bin, an der ich mich gewissermaßen aufgeregt habe über den Optimierungswahn und die Therapiefreudigkeit im Bildungswesen, habe ich noch mal tiefer geschaut, was ich da eigentlich als problematisch empfinde.
Es geht nicht darum, die Angebote, die es heute gibt, schlecht zu machen, überhaupt nicht. Ich kann die Qualität der einzelnen Angebote auch nicht uneingeschränkt ablehnen oder empfehlen, da kommt es sicher immer auf den Menschen an, der das Angebot macht und die Eltern, die es annehmen und wie beide und vor allem das Kind miteinander schwingen. Es ist auch nicht schlecht, wenn man sich von Experten, Beratern oder Coaches Tipps holt. Mich stört allerdings die Basis, die diesem Hilfesuchen heute leider meist zu Grunde liegt und diese ist ein wackliges Selbstwertgefühl bei Kind und bei den Eltern gepaart mit Angst vor der Zukunft.
Was tun Eltern nicht alles, damit das Kind nicht gehänselt wird in der Schule oder im Kindergarten. Sicherlich aus eigenen Verletzungen heraus, die meist noch nicht verarbeitet worden sind. Das ist lieb gemeint und wird gemeinhin als gutes Elternsein verstanden, sendet aber ein falsches Signal. Nämlich, dass ihr eurem Kind vermittelt, dass ihr Angst habt, dass es so wie es ist, sicher nicht angenommen wird und dass ihr das, weswegen ihr euch Hilfe holen wollt oder sollt selbst irgendwie negativ bewertet. Sowas ist eigentlich das Schlimmste, was man Kindern antun kann. So erklärt sich auch, warum Kinder, die mit ihren Schwächen komplett angenommen werden in der Regel ein höhres Selbstwertgefühl haben als Kinder, die von einer Therapie zur nächsten geschleift werden (und ich weiß aus Sorge und aus Liebe).
Wenn ihr aus einem Gefühl der Angst Hilfe sucht oder weil ihr irgendwohin geschickt werdet, dann fehlt euch und eurem Kind etwas entscheidendes um überhaupt an irgendetwas gewinnbringend zu arbeiten. Nämlich das Vertrauen. Wenn irgendwelche Herausforderungen in eurem Leben oder im Leben eurer Kinder auftreten, dann kann ich euch nur dringend raten, zunächst, bevor ihr euch im Beratungsdschungel verliert (1000 Menschen, 1000 Meinungen), eure Beziehung zu euch selbst und zu eurem Kind zu stärken.
Gesteht ihr euch zu, euch selbst, genauso wie ihr seid, anzunehmen, mit allen vermeintlichen Schwächen- aber auch indem ihr euch eurer Stärken bewusst seid? Wie schaut ihr auf euch selbst? Kennt ihr eure Stärken überhaupt? Denn jeder Mensch hat Stärken!!!! Du auch!!! Jeder!!! Wenn ihr euch selbst als eine Anhäufung von schlechten Gewohnheiten und Fehlern seht, dann habt ihr kein Vertrauen in eure Fähigkeit, euer Kind auf seinem Weg ausreichend gut zu begleiten. Vielleicht tritt jetzt bei eurem Kind genau das auf, worunter ihr damals schon gelitten habt (ob das eine Zahnspange ist, ein Sprachfehler, ein Charakterzug, eine Lernschwäche- ganz gleich). Die erste Arbeit, die ihr dann leisten dürft, ist euer Vertrauen zu euch selbst wiederzufinden, euch selbst zu lieben, wie ihr seid. Euch zu vergegenwärtigen, was ihr alles schon, sicher unter teils widrigsten Umständen, geschafft habt. Seid stolz auf euch, klopft euch auf die Schulter, wenn es kein anderer macht.
Wenn ihr keine Selbstliebe empfindet, dann könnt ihr euch auch nicht auf eure Kinder einlassen, im Gegenteil, dann sind eure Kinder mit ihrer Herausforderung einfach nur eine schmerzhafte Erinnerung an eure eigene Kindheit. Und das ist das letzte, was sie jetzt brauchen. Kinder haben unheimlich feine Antennen für eure Gefühle, sie lesen sie besser als ihr selbst. Sie sehen euren Schmerz und sie werden sich die Schuld dafür geben und das wird alles nur schlimmer machen. Wenn ihr mit diesen Voraussetzungen auf einen Experten trefft, seid ihr für ihn wie Knetmasse, ihr begebt euch in die Opferrolle und lasst euch alles erzählen, auch Dinge, die euch und eurem Kind vielleicht schaden. Eventuell noch mehr Angst, noch mehr Panik etc. Denn dann gebt ihr die Verantwortung ab. Ein guter Therapeut erkennt das und wird euch bestärken, aber wie wollt ihr wissen, ob ihr den habt? Auch das könnt ihr besser erkennen, wenn ihr in eurer Selbstliebe seid. Das ist so wichtig.
Alle „Schönheitsfehler/Probleme“, wegen derer ihr mit euren Kindern Therapien (Ergo-, Physio-, Psychotherapie oder Logopädie you name it…) besucht, sind in der Regel keine lebensbedrohlichen Zustände. Lasst euch also keine Angst einreden und schon gar keinen Zeitdruck machen. Gar nicht nötig. Nehmt euch vorher die Zeit, euch genau zu überlegen, warum gehe ich mit meinem Kind dahin (eigener Leidensdruck, vom Lehrer oder Kindergärtner, Kinderarzt empfohlen, von Verwandten angeraten, vom Nachbarn, was auch immer). Legt also zunächst fest, vom wem das „Problem“ zuerst entdeckt oder geschaffen wurde. Ist es aus der Kernfamilie heraus, verdient es generell mehr Aufmerksamkeit als auf Empfehlung. Ist es auf Empfehlung, dann prüft immer doppelt genau, warum diese Empfehlung vielleicht ausgesprochen wurde.
Ich unterstelle keinem etwas, aber jeder Mensch, der seine Verantwortung für sich und seine Familie wahrnehmen möchte, sollte immer diese Beweggründe hinterfragen. Leider befinden wir uns nicht in einem ausschließlich philantropischen Vakuum. Kindergärtner oder Lehrer fühlen sich möglicherweise überfordert, der Kinderarzt folgt seinen Leitlinien oder hat seine Doktorarbeit zu diesem Thema geschrieben, ist also übervorsichtig- wer weiß? Der Gründe gibt es viele.
Kommt der Wunsch nach Hilfe und Unterstützung von euch selbst oder gar von eurem Kind, dann lohnt es sich schon etwas genauer hinzuschauen. Stellt euch Fragen wie, warum belastet mich die Situation? Warum belastet diese Situation mein Kind? Welche Handlungsmöglichkeiten habe ich selbst? Was kann ich erst mal allein probieren, bevor ich mir Hilfe von Außen hole? Was passiert, wenn ich gar nichts tue? Wenn ihr das für euch beantwortet habt, probiert erst mal,was ihr allein tun könnt. Das gibt euch Selbstvertrauen. Überlegt auch, wann die belastende Situation oder „Schwäche“ immer besonders zu Tage tritt. Schließt auch nicht aus, dass es vielleicht auch an der Schule oder am Kindergarten liegen könnte, am Lehrer oder am Erzieher, am Opa oder an der Oma, an euch oder eurem Partner. Nur weil euer Kind, ein Zeichen gibt, heißt es nicht unbedingt, dass etwas mit eurem Kind nicht stimmt. Wie singt Sarah Lesch in ihrem Lied „Testament“ so schön, dass die Kinder Symptomträger im System sind. Überlegt, wer wirklich das „Problem“ hat, sonst werdet ihr es auch mit keiner Therapie lösen, sondern euer Kind nur mit allen möglichen Mitteln an ein wankendes System anpassen, damit das System nicht umfällt- egal ob das die Familie oder die Schule ist.
Wenn ihr dann also alles probiert habt, alles äußere relativ (denn es spielt immer eine Rolle) ausgeschlossen habt als Hauptgrund, eigenes Verhalten mal verändert habt, Gewohnheiten verändert habt und ihr immer noch Hilfe braucht, dann macht euch und euer Kind stark, BEVOR ihr in eine Beratungssituation reinstolpert. Es ist enorm wichtig, dass eure Liebe zu euch selbst und die Liebe zu eurem Kind gefestigt ist, wenn ihr euch dem Urteil (und damit wird leider in unserer Gesellschaft selten gespart) eines Experten aussetzt. Stärkt euer Bauchgefühl und tut nur das, was sich für euch gut anfühlt. Erkennt, wenn jemand grundlos Panik verbreitet. Und, ja, ihr dürft euch selbst lieben und als Eltern gut finden, auch wenn ihr euch nicht als perfekt empfindet, wer ist das schon? Ihr dürft und habt sogar die heilige Pflicht, eure Kinder zu lieben mit allem drum und dran. Sie sind euer Spiegel. So krass wie es klingt, sind es meist eure eigenen Probleme, die euch das Leben durch eure Kinder wieder präsentiert. Nicht, damit ihr die Kinder pathologisiert und therapiert, sondern damit ihr selbst hinschaut. Dr. Karin Bender Gonser hat zum Beispiel sehr interessante Videos, dass selbst Karies bei Kindern Hinweise auf tieferliegende Ursachen bei den Eltern oder im Familiensystem gibt.
Eure Kinder spüren so genau, wenn ihr denkt, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Das kann so tiefe Wunden hinterlassen. Bedenkt das, wenn ihr über sie vor anderen sprecht. Gebt ihnen das Gefühl, dass ihr sie toll findet, genau wie sie sind. Wenn das Leben nicht davon abhängt, liegt nicht wach im Bett und weint, weil ihr Angst habt, ob eure Kinder einmal selbstständig sein werden, ob sie mal einen guten Beruf ausüben werden. Ihr lebt jetzt und nicht in der Zukunft (nicht mal wir wissen, ob wir jemals Rente bekommen werden, solche Gedanken sind also ziemlich sinnlos- wertfrei). Eure Kinder brauchen euch jetzt und nicht, wenn sie sich mal bei der Rente anmelden. Sie brauchen eure Sorge um ihr emotionales Wohlergehen. Und das ist eben jetzt in Gefahr, wenn sie merken, dass mit ihnen etwas nicht richtig ist. Heute müsst ihr sehen, wie vollkommen eure Kinder sind, mit all ihren Ecken und Kanten, heute müssen sie euch wichtiger sein als die Meinung der Lehrer und der Kindergärtner, heute müssen sie euch wichtig genug sein um vielleicht mit den Stunden etwas runter zu gehen oder gar zu kündigen und von mir aus bei Mama und Papa wieder einzuziehen, heute müsst ihr sie lieben, heute müsst ihr ihnen euer Vertrauen schenken. Heute müsst ihr euch auf ihre Seite stellen. Denn ratet mal, wer morgen ausbadet, was ihr heute aus Angst oder Verunsicherung nicht getan habt. Ihr selbst. Die Empfehlungsgeber und Experten, Lehrer und Therapeuten sind nicht da und helfen euch die Scherben eines kaputten Selbstwertes wieder aufzusammeln. Diese Verantwortung gebt ihr nur scheinbar ab. Denn die tragt ihr selbst die ganze Zeit. Ihr könnt zwar Schuld zuweisen, nur bringt das euch und eurem Kind wenig, fünf, zehn oder fünfzehn Jahre später. Und da will ich jetzt gar nicht die Nebenwirkungen der Anpassungspillen, die wie Bonbons ohne Not immer häufiger verteilt werden mal ganz außen vorlassen.
Spürt alles mit eurem Herzen nach. Jeden Tipp, jede Wertung, jede Anmaßung, jede Interpretation. Seid vorsichtig mit allen Intelligenztests, sie können so wenig aussagen oder so viel wie andere Tests auch und das Ergebnis hängt etlichen Variablen ab. Seht euer Kind immer in seiner Ganzheit. Ich habe schon so viele Kinder kennengelernt und nicht ein einziges, das nicht auf seine Weise liebenswert und talentiert gewesen wäre. Nicht eines. Das heißt ja nicht, dass es kein Entwicklungspotential gibt und das heißt auch nicht, dass Kinder nicht von Experten und ihren Einschätzungen profitieren können. Es heißt nur, dass es eine sehr besondere Situation ist, wenn man sich anderen anvertraut, in der man dann auch besonders achtsam sein sollte. Kinder leiden so sehr, wenn sie denken, sie sind falsch oder nicht gut genug. Verhindert durch Gespräche und schöne gemeinsam verbrachte Zeit, dass dieser Eindruck bei ihnen entsteht. Vermittelt euren Kindern vor allem in solchen Situationen immer ihre Ganzheit, ihr Vollkommensein. Ihr werdet selber daran wachsen. Seht sie besonders, wenn nicht alles funktioniert durch die Augen der Liebe, dann brauchen sie es am meisten.
Wenn ihr das Gefühl habt, dass ihr in einer Beratungssituation also „untergebuttert“ werdet, sie aber trotzdem in Anspruch nehmen wollt, wechselt entweder den Experten oder nehmt euch jemanden mit, einen Freund, die Oma, jemand, der genug Abstand besistzt und euch unterstützt. Wenn euch das nicht zugestanden wird, wechselt nochmal. Ihr seid der Chef in eurem Leben, denn ihr habt die gesamte Verantwortung. Das klingt niederdrückend, ist aber etwas Schönes. Denn nur ihr könnt doch letztlich entscheiden, was in euer Leben passt, mit was es euch und euren Kindern oder eurem Kind gut geht. Gleicht alles mit eurem Herzen, Bauchgefühl und Verstand ab. Dann kann eine Therapie auch funktionieren und sogar auch sehr gut. Wenn IHR wählt, weil IHR in eurer Kraft seid. Geht ihr mit Angst belastet irgendwohin, lasst euch rumrücken, lasst euch fremdbestimmen, fühlt ihr euch nicht gut und schadet euren Kindern mehr als ihr ihnen nützt. Denn sie wollen nur eure Liebe, und nur IHR könnt sie ihnen schenken.
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